Das sind die Food-Trends im Gastgewerbe

Text: Hanni Rützler, Foodtrend-Expertin, Gründerin und Leiterin des futurefoodstudios

Als Trendforscherin kann ich zunächst entwarnen: Nein, es gibt 2022 nicht schon wieder neue Food-Trends! Zwar hat die Pandemie insbesondere in der Gastronomie zum Teil tiefgreifende Spuren hinterlassen. Aber wir haben auch gesehen, dass Food-Trends nicht von heute auf morgen entstehen und dass vieles, was sich durch die in der Krise entstanden Dynamik nun schneller und radikaler entwickelt hat, schon vor der Krise in den Grundzügen angelegt war. Sie haben in der Pandemie an Fahrt gewonnen, auch weil Köchinnen und Köche sowie Restaurantbetreibende die Lockdowns genutzt haben, sich intensiver mit den Trends auseinander zu setzen und sich neu auszurichten.

Gastronomen sind Trends auch nicht willkürlich ausgeliefert, sondern sie werden – wenn sie sich von dem einen oder anderen angesprochen fühlen und inspirieren lassen – selbst zu Akteuren, zu Mitgestaltern dieser Food-Trends. Der grundlegende Paradigmenwechsel in unsere Esskultur weg vom Massenkonsum und –geschmack hin zu individuelleren und differenzierteren Geschmäcken und Wünschen hat zur Folge, dass auch Nischenmärkte immer grössere Bedeutung gewinnen und daher auch an spezifischen Trends orientierte Restaurantkonzepte florieren können. Seien es Lokale, deren Küche sich an bestimmten Ernährungsphilosophien orientieren (etwa vegan oder paleo), die sich strikt auf die Verwendung lokaler und saisonaler Produkte beschränken oder sich bestimmten, meist ethno-regionalen Küchenstilen verschreiben. Zumindest in grösseren Städten, wo auch Nischenkonzepte ausreichend viele Gäste finden.

Im Folgenden möchte ich aber jene Trends bzw. Trendfelder kurz beschreiben, die darüber hinausgehen, die nicht nur in einer Nische relevant sind, sondern in denen sich der übergreifende, grundlegendere Wandel unserer Esskultur widerspiegelt:

Snackification

Wo wir wann was und mit wem essen, wird immer flexibler. Der Begriff Snackification beschreibt den Wandel weg von Mahlzeiten (wie wir sie kennen) hin zu kleineren Portionen, die je nach Zeit und Gelegenheit über den Tag verteilt gegessen werden. Denn unsere Essgewohnheiten passen sich immer mehr unserem mobilen, zeitlich unbeständigen Arbeitsleben an und bringen damit auch die Struktur klassischer Menüs, d.h. die Dreieinigkeit von Vorspeise, Hauptgericht und Dessert ins Wanken. Das birgt Chancen für neue Konzepte: für Retailer und Streetfood Anbieter, aber auch für Gasthäuser und Restaurants, die bereit sind, ihre Angebote, Portionsgrössen und Servicezeiten zu adaptieren und statt klassischer Menüs flexibel zu wählende und kombinierbare Minimalzeiten anzubieten. Schliesslich lassen sich auch traditionelle Schweizer Gerichte als «small plates», als Tapas oder Mezze geniessen.

 

Digitainment

Der Boom der Digitalisierung hat mit der Jahrtausendwende begonnen und sich längst auch schon im Gastgewerbe durchgesetzt. Um die betriebsinternen Abläufe zu optimieren, aber auch um die Kommunikation mit den Gästen einfacher und zugleich informativer zu gestalten: Von  Reservierungssystemen über digitale Gastro-Führer und Bewertungsplattformen bis zur restauranteigenen digitalen Speise- und Getränkekarte, die über Herkunft der Ausgangsprodukte, Allergene und Rezepturen Auskunft gibt und einfaches Feedback ermöglicht. Betriebe, die es verstehen, diese Tools zu nutzen und – Stichwort Storytelling – sinnlich zu bespielen, die die Technik aber nur als Ergänzung und nicht als Ersatz für die persönliche Kommunikation einsetzen, werden von der fortschreitenden Digitalisierung profitieren. Denn in Zukunft lautet die Formel für Kundenzufriedenheit: Hightech mal Hightouch.


Liquid Evolution

Alkoholfreie Getränke sind auf dem Vormarsch. Ob pur oder gemixt – die neuen «Urban Drinks» beleben die junge Gastronomieszene. Die Zeiten, als man beim mehrgängigen Menü im Restaurant die alkoholische Begleitung wählen musste, weil die nicht-alkoholische Getränkeauswahl so deprimierend und uninspirierend war, sind (fast) vorbei. Seit einigen Jahren spriessen unzählige Start-ups aus dem Boden, die alternative analkoholische Getränke auch jenseits klassischer Limonaden kreieren, und in Top-Restaurants werden selbst gemachte Säfte kredenzt, die sich im Idealfall als bessere Speisenbegleiter erweisen, als viele Weine. Aber auch in der Weinbranche scheint kein Stein auf dem anderen zu bleiben. Denn der Siegeszug der Gourmetsäfte, die bei der Menüzusammenstellung mitkomponiert werden, stellt neue Herausforderungen an Sommeliers, Weine anbieten zu können, die der Saftkonkurrenz gewachsen sind und in einer ähnlichen Preisliga spielen. Das wird auch dazu führen, dass in Zukunft mehr Weine aus weniger bekannten Sorten und anderer Vinifizierung auf den Getränkekarten zu finden sein werden.
Plant Based Food
Die kulinarische Aufwertung pflanzlicher Nahrungsmittel ist in vollem Gang. Einerseits machen Gemüse- und Getreidegerichte nicht nur in vegetarischen und veganen, sondern auch in vielen klassischen Restaurants eine immer bessere Figur. Andererseits ist die Lebensmittelindustrie – angetrieben durch innovative Start-ups – voll auf den Zug aufgestiegen, Produkte aus Fleisch, Milch und Eiern durch immer ausgeklügeltere Produkte aus nicht-tierischen Ausgangsprodukten (Gemüse, Getreide, Pilze etc.) zu ersetzen. Getrieben wird der Trend einerseits durch ein – vor allem bei den jüngeren Generationen – wachsendes Gesundheits- und Umweltbewusstsein, andererseits durch den Wandel ethischer Normen und Werte, die nicht mit der industriellen Tierzucht und Fleischproduktion zu vereinbaren sind und im Extremfall jeder Form der Ernährung mit tierischen Produkten zuwiderlaufen. Da insbesondere in den jüngeren Generationen der Anteil der Vegetarier und Veganer zunimmt und die Klimadebatten noch die nächsten Jahrzehnte prägen werden, ist davon auszugehen, dass der Plant Based-Food-Trend weiter wachsen wird.

 

Healthy Hedonism

Gesundheit ist einer der weltweit wirksamsten Megatrends, der grossen Einfluss auf den Wandel unserer Esskultur hat. Sie gilt als wesentliche Voraussetzung für ein gutes Leben, das wir aber verpassen, wenn wir unser ganzes Handeln nur auf Gesundheit fokussieren. Dass sich – wie mittlerweile auch entsprechende Studien nahelegen – Gesundheit und Genuss nicht ausschliessen, ist eine Entwicklung, die von Konsumenten begrüsst wird. Der Fokus dieser Entwicklung liegt nicht im Verzicht, im radikalen Weglassen und in der Askese, sondern auf den unzähligen Möglichkeiten, sich gesund und genussvoll zu ernähren. Dazu zählen vor allem auf Gemüse, Hülsenfrüchten und Getreide basierende, also überwiegend pflanzliche Speisen sowie Kräuter, Nüsse und Samen auf kulinarisch ansprechendem Niveau. Aber auch ein entspannterer Umgang mit Lebensmitteln und Getränken, auf denen nicht das Etikett «gesund» klebt und die – ob Kaffee, Wein, Schokolade, rotes Fleisch u.ä. – in massvollem Konsum keine Gefahr für die Gesundheit sind, sondern Komponenten guten Lebens.

 

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