Das Garni Chesa Mulin gehört zu den 100 freundlichsten Hotels in der Schweiz. Was machen Sie richtig?

Andrea Isepponi: Unser Erfolgsrezept ist der persönliche Kontakt zum Gast. Als kleines Hotel haben wir gegenüber grösseren Hotels in diesem Bereich sicherlich einen Vorteil. Wir kennen durch den direkten Kontakt unsere Gäste gut und können ihre unterschiedlichen Bedürfnisse einordnen.

Was bedeutet für Sie Gastfreundschaft?

Wenn der Gast unser Hotel betritt, muss er sich willkommen fühlen. Gastfreundschaft ist ehrliche Freundlichkeit und ehrliche Herzlichkeit. Gastfreundschaft bedeutet für uns auch Hilfsbereitschaft. Gerade in einem kleineren Hotel, welches oftmals nicht die gleiche Infrastruktur bieten kann wie ein grosses, sind Gastfreundschaft und Geborgenheit wichtige Faktoren. Hierfür spielen auch die Mitarbeitenden eine bedeutende Rolle.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeitenden gastfreundlich sind?

Indem wir unseren Mitarbeitenden Gastfreundlichkeit vorleben. Bei uns fängt es jedoch bereits bei der Rekrutierung des Personals an. Für uns sind ein sympathischer Eindruck und die Ausstrahlung entscheidende Kriterien. Ein Bewerber kann noch so qualifiziert sein: wenn er zu wenig Herzlichkeit mitbringt, passt er nicht in unser Haus. Zudem muss der Mitarbeiter Freude an seiner Tätigkeit haben und gerne mit Menschen arbeiten.

Und wie stellen Sie an stressigen Arbeitstagen die Qualität sicher?

Da wir täglich mitarbeiten, können meine Frau und ich die Spitzenzeiten gut abfangen. Für uns ist ausschlaggebend, dass wir auch bei vollem Haus eine persönliche Dienstleistung erbringen. Dank unserer Präsenz können wir zum Beispiel unsere Gäste individuell für einen Ausflug beraten. Damit der Service auch in hektischen Zeiten reibungslos funktioniert, müssen wir immer genügend Personal haben und dürfen nicht unterbesetzt sein. Zudem ist die überschaubare Grösse des Hotels ein Vorteil: Wir können auch bei vollem Haus eine gute Qualität bieten.

Hilft Ihnen die Digitalisierung, um die Gastfreundschaft zu steigern?

Ich sehe den Zusammenhang von der Digitalisierung und der Gastfreundschaft eher indirekt. Dank der Digitalisierung können wir die Prozesse im Hintergrund verbessern und haben dadurch mehr Zeit für die Gäste. Dagegen nimmt bei anderen Bereichen der persönliche Kontakt ab: Der Buchungsprozess ist mit den Online- Buchungsplattformen unpersönlicher geworden.

Was raten sie Betrieben, die in puncto Gastfreund­lichkeit weniger gut abschneiden?

Beim unfreundlichen Personal erkenne ich zwei Ursachen: Entweder sind sie zu stark unter Druck oder sie haben schlichtweg keine Freude an ihrem Beruf. Bei Ersterem rate ich, immer genügend Personal zu haben. Die Investition ins Personal zahlt sich aus, und die Geschäftsführung muss sich gut um ihre Mitarbeitenden kümmern. Aber natürlich gibt es auch Grenzen.

Welches Erlebnis hat Ihnen aufgezeigt, dass Sie auf dem richtigen Weg sind?

Während einer Herbstsaison waren wir bereits ausgebucht, als ein Gast in unser Hotel kam und nach einem freien Zimmer fragte. Ich bot ihm meine Hilfe an und suchte für ihn ein freies Zimmer in einem anderen Hotel. Der Gast war sehr dankbar und hinterliess anschliessend auf einer Online-Plattform eine super Bewertung. Es sind solche Erlebnisse, die einen weiterbringen. Mir war es auch ein Anliegen, dass er in Pontresina geblieben ist. Wir helfen allen Touristen, ob sie unsere Gäste sind oder nicht. So sollte es im ganzen Tal funktionieren.

Profitieren Sie davon, dass Pontresina als gast­freundlicher Ort bekannt ist?

Ja, denn ein Betrieb macht nicht die ganze Destination aus. Es braucht die ganze Dienstleistungskette. Man kann eine noch so starke Kette haben: wenn ein Glied nicht hält, fällt sie auseinander. Genauso ist es für den Customer Journey des Gastes. Es bringt mir nichts, wenn der Gast bei uns gut schläft und frühstückt, einen super Tag beim Wandern hat und schlussendlich bei der Busrückfahrt eine schlechte Erfahrung macht. Die Erinnerung des Gastes bleibt immer am negativen Erlebnis haften. Daher muss die Gastfreundschaft durch die ganze Dienstleistungskette hindurch gelebt werden. Für ein Lächeln oder eine Beratung sollte immer Zeit bleiben.


Kommen wir zurück zu Ihrem Hotel: Wie überraschen Sie Ihre Gäste?

Wir kennen die Wünsche unserer Gäste. Wenn ein Gast uns nach seinem Aufenthalt sagt, die Matratze oder das Kissen habe ihm nicht gepasst, notieren wir das und stellen das Gewünschte das nächste Mal bereit. Es sind die kleinen Dinge, auf die wir achten, die den Gästen aber grosse Freude bereiten. Ich habe auch schon einmal einen Gast selber an einen Ort gefahren, an den er nicht selber hingekommen wäre. Solche Überraschungen müssen aber spontan und ehrlich gemeint sein.

Wie wichtig sind Stammgäste?

Sehr wichtig. Als kleines Hotel bilden Stammgäste einen unverzichtbaren Sockel für unsere Auslastung.

Und wie machen Sie Gäste zu Stammgästen?

Indem wir uns Zeit für die Gäste nehmen. Bevor man stundenlang am Computer sitzt und Zahlen analysiert, lohnt sich ein viertelstündiges Gespräch mit dem Gast ebenso sehr, wenn nicht mehr. Wir zeigen den Gästen, dass wir uns für sie interessieren, sie ernst nehmen, ihnen zuhören – und erhalten dadurch Feedback. Das ist sehr wertvoll. Wir spüren so etwa heraus, was die Gäste von unseren künftigen Projekten halten.

Welche Projekte haben Sie für die Zukunft geplant?

Ein wichtiges Thema für die Zukunft ist die Entschleunigung. Viele Leute sind vom Alltag ausgebrannt. Je länger, desto mehr müssen wir dem Gast eine Dienstleistung bieten, bei welcher er sich erholen kann. Die Gäste wollen vor allem Zeit für sich haben. Wir als Hotel stellen die Basis zur Verfügung, damit sie sich wohlfühlen und ihren Aktivitäten in der Destination nachgehen können. Hier können neue Technologien weiterhelfen. Konkret sind wir in der Planung, einen Late-Check-in ohne Empfang anzubieten. Wir ermöglichen so Gästen, die zur späten Stunde anreisen, ohne Stress und flexibel zu jeder Uhrzeit einzuchecken. Trotz solcher Neuerungen werden wir uns natürlich auch in Zukunft darauf konzentrieren, unsere Gäste mit herzlicher Gastfreundschaft zu bedienen.

Das Hotel Chesa Mulin wurde 1983 als damals einziges Garni in Pontresina eröffnet. Das Garni-Angebot traf den Nerv der Zeit: Die Gäste wollten vermehrt eine Unterkunft ohne Halbpension buchen, um für das Abendessen verschiedene Lokale in der Region auszuprobieren. In kurzer Zeit gewann das Hotel einen grossen Kundenstamm. Im Dezember 2004 übernahmen Sonja und Andrea Isepponi in zweiter Generation die Führung des Superior-Hauses. Heute beschäftigt das familiäre Drei-Sterne-Hotel mit 30 Zimmern zwölf Mitarbeitende.